militärischen Zweck. Während ursprünglich jeder freie Oermane
heerbannpflichtig war, drängten später die Ritter das Volksheer
zurück. Doch hat man nie ganz darauf verzichtet. Namentlich
das aufkommende Landesfürstentum pflegte die Landmiliz. In
Kriegszeiten wurden die Schützen aufgeboten zur Bewachung
der Landwehren, der Hamaien, der Burgen, zur Ergreifung
umherstreifender Söldner, in Friedenszeiten als eine Art Landes-
polizei auf den großen Märkten, zur Zwangsvollstreckung jeder
Art, zur Bewachung von Feld und Flur und zur Ergreifung von
Diebes- und Räuberbanden. Der Amtmann befehligte die
Schützen, die Gemeinde zahlte die Entschädigung.
Mochte nun auch der militärische Wert dieser Miliz nicht groß
sein, eine Ausbildung irgendwelcher Art mußte doch voraus-
gehen. Diese übernahmen die Schützengesellschaften, die sich
meist unter dem Schütze des heiligen Sebastianus, der als
Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache am 20. Januar 288 den
Martertod erlitt, als kirchliche Sebastianusbruderschaften auf-
taten. Dazu kam dann als Drittes Pflege der Geselligkeit.
Während einige Bruderschaften ihren Ursprung bis ins 14. und
gar 13. Jahrhundert zurückführen können, tauchen in unserer
Gegend allgemein gleich nach 1400 die Zeugen einer Wehr-
organisation auf. In Neuss traten die Schützengesellen im
Jahre 1415 zur Gründung der Sebastianusbruderschaft zu-
sammen. Aller Wahrscheinlichkeit nach geschah dies aber im
ganzen Dekanate. Der Silbervogel der Sebastianusbruderschaft
in Giesenkirchen trägt die Jahreszahl 1422. Der um diese Zeit
in dem Dingstuhl Unterbroich aufkommende Flur-, spätere Orts-
name Schiefbahn = Scheibenbahn zeigt, daß auch dort eine
eifrige Schützentätigkeit herrschte. In Kaarst stifteten am
20. Januar 1452, auf Sebastianustag, Dithmarus und Lambert von
Lovenbergh, die zwei Provisoren und sämtliche Sebastianus-
brüder (im ganzen waren 26 anwesend) in der Kirche 42 M. Land
aus dem Vermögen der Bruderschaft (sie bestand also schon
recht lange) zu einem ewigen Priesterdienst zu Ehren des
heiligen Sebastianus. 1495 ist die Bruderschaft, zu der von
Anfang an Brüder und Schwestern gehörten, ebenfalls noch in
voller Blüte. In Büttgen wird die Bruderschaft im ältesten
vorhandenen Register von 1535 als längst bestehend aufgeführt.
Das früheste Königssilber datiert von 1631. Auch in Glehn darf
man ihren Ursprung mit Recht gleich nach 1400 ansetzen. 1444
ist der Sebastianusaltar bereits vorhanden. Am 29. September
1451 vermachte Mechtilde Wolf u. a. der Sebastianusbruderschaft
in Glehn zu einem Jahrgedächtnis 3 M. Land bei Epsendorf an
dem sog. Jonkelsveld zwischen den Äckern von Gerhard
Scharantz und der Klarissen in Neuss. Das älteste erhaltene
Register vom Jahre 1489 enthält an Einkünften 30 Ml. Korn
(1641 noch 18 Ml.). Der Landbesitz betrug 1663 23i/a M.
18 R. 22 F. Der Altar der Bruderschaft war mit einer Vikarie
verbunden, zu dem die Brüder den Geistlichen selbst ernannten.
In Kriegszeiten gingen die Bruderschaften vielfach zugrunde.
Doch drangen die Behörden immer wieder auf Erneuerung
derselben. So wurde die Bruderschaft in Giesenkirchen und
in Büttgen (1641 bestand sie nicht mehr) nach dem Dreißig-
jährigen Kriege wieder zum Leben erweckt. In Glehn wurde
sie 1617 wieder hergestellt. Am 19. Juni 1719 erhielten ihre
alten Statuten vom Kölner Kurfürsten Josef Klemens auf Antrag
des Vorstehers und des Brudermeisters die landesherrliche
Genehmigung.
Das Hauptfest, das Bruderschaftsbegängnis, war am Se-
bastianustag. An diesem versammelten sich alle Brüder um
9 Uhr zum Hochamt. Nach der Predigt wurden die Namen
der verstorbenen Brüder und Wohltäter verlesen und für sie
gebetet. Während der Präfation hielten die Brüder Opfergang
um den Altar. Nach dem Amte wurde das Libera gesungen und
das Weihwasser ausgeteilt. An dessen Stelle trat später am
Nachmittage eine Segensandacht und am folgenden Tage ein
Seelenamt für die verstorbenen Brüder. Bei der Bruder-
schaft waren auch Jahrgedächtnisse gestiftet, 1520 drei Den
kirchlichen Dienst am Sebastianusaltar besorgten von jeher
im Auftrage der Brüder ein Pater von St. Nikolaus. Peter von
der Weiden (f 1554) schrieb: „Der Vorsteher der Sebastianus-
bruderschaft in Schlich ist auf Grund eines uralten Vertrages
verpflichtet, dem Pater von St. Nikolaus auf Remigius 20 Ml.
Korn zu geben. Ferner mußte auch der Vorsteher der
Kirchenfabrik wegen des Sebastianusaltares 10 MI. geben. Den
überschießenden Teil der Einkünfte verwandte die Bruderschaft
in selbstlosester Weise für die Armen und zu kirchlichen
Zwecken. Nach der Zusammenlegung der Marien- und Se-
bastianusvikarie (1652) erhielt sie aus den Einkünften jährlich
2 Ml. Korn zurück, eines für den Schützenkönig, das zweite für
ein ehrenvolles Begräbnis der Brüder. Als nun durch die fran-
zösische Gesetzgebung das Vikarievermögen der Pfarre über-
lassen wurde, stellte die Kirchenkasse von 1826-1831 die
Zahlung der 2 Ml. wie auch der seit alters üblichen Rente von
10 Rt. 55 Stb. ein, weil die Bruderschaft nach dem französischen
Rechte keine öffentliche Anerkennung gefunden habe. Doch
setzten nachdrückliche Forderungen es schließlich durch, daß
fernerhin die beiden Ml. Korn und die Spende wieder gezahlt
wurden.
Eine besondere Ehre sah die Bruderschaft seit je in der
Begleitung des Allerheiligsten. Die Brüder zogen dann in Wehr
und Waffen, d. i. bis 1600 in Helm, Harnisch und Bogen, später
mit Gewehr, dem eucharistischen Heiland voran. In ihrer Mitte
trugen sie das Bild ihres Schutzpatrons (schon 1488 erwähnt).
Ihnen voran zog die Fahne. Hinter der Fahne ging der Bruder-
könig in seinem herrlichen Silberschmuck. Auch dies ist schon
für das Jahr 1666 und früher bezeugt. Als Anerkennung für
die Dienste bei der Gottestracht erhielten die Brüder einen Trunk
auf Kosten der Kirche. 1628 bestand er in IVa Ahm, 1645 in
22 Quart, 1654 erhielt jeder Bruder eine Flasche und 1708
2 Quart. Später betrug die Spende 2 Ahm für die Brüder aus
Qlehn, und l Ahm für die aus Liedberg. Diese Spende wurde
zu Anfang des 19. Jahrhunderts auf 8 Rt. 55 Stb., seit 1855 auf
6 Ta. 25 Sgr. festgesetzt. Ursprünglich nahmen die Brüder auch
an dem großen Kirchenessen teil, das nach den Sakraments-
prozessionen auf allgemeine Kosten bei einem Glehner Wirt
stattfand. Als aber die Zahl zu groß wurde, vertraten der König,
der Fähnrich, der Hauptmann und der Brudermeister die
Gesamtheit. An den gewöhnlichen Prozessionen nahmen die
Brüder in einem bescheideneren Aufzuge teil, nur das Se-
bastianusbild in ihrer Mitte. Um das Jahr 1500 hatten die
Bruderschaften der verschiedenen Orte unter sich eine lebhafte
Verbindung-. So treffen wir die Qlehner verschiedentlich bei den
Veranstaltungen und Festen in Neuß und Qladbach.
Auch durch ihre Organisation war die Sebastianusbruder-
schaft stets aufs engste mit der Kirche verbunden. Ursprünglich
standen zwei Brudermeister an der Spitze, von denen einer der
regierende war. Dieses Amt haben vor 1600 meist die Herren
von Schlickum bekleidet. Als nun 1652 die Zusammenlegung
des Marien- und Sebastianusaltares stattfand, wurde der Inhaber
beider Vikarien jedesmal eidlich verpflichtet, das Vorsteheramt
zu übernehmen. Von jetzt an wählte man am Sebastianustag-e
nur mehr einen Brudermeister aus der Reihe der Brüder. Der
Präses setzte vier Brüder in die engere Wahl. Die anwesenden
Mitglieder gaben nun beim Umgang um den Altar ihre Stimmen
ab, die Mehrheit entschied. Der Gewählte wurde hierauf vom
Präses, dem Pastor und den beiden ältesten Brüdern als Bruder-
meister vorgestellt und vereidigt. Die Eidesformel lautete: „Ich
schwöre, der Kirche und den Brüdern stets treu zu sein und
nichts Hinterlistiges gegen die gemeinen Brüder vorzunehmen.“
Dann legte der Brudermeister seine Hand auf den Anfang des
Evangeliums des heiligen Johannes mit den Worten: „Alles
dieses beschwöre ich vor Oott dem Allmächtigen, den anwesen-
den Priestern und Brüdern zu tun und zu halten, so wahr mir
Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“
Dem Brudermeister standen vier Beisitzer zur Seite, und zwar
zwei von Qlehn und zwei von Liedberg. Der Brudermeister
leitete die Bruderschaft, nahm Mitglieder auf, schloß aus ihr
aus, verwaltete im Verein mit dem Kirchenrendanten das
Vereinsvermögen und legte jährlich vor Sebastianustag vor dem
Präses und den Beisitzern Rechenschaft ab. Beim Begräbnis
eines Mitgliedes hatte er mit den Freunden Anrecht auf die
Trauermahlzeit. Als Brudermeister werden genannt:
1519 Daem im Oven (Steinhausen).
1528 Gödert Rammetz, Robert Höveler.
1540 Gerhard Reipen, Heinrich Klauth.
1562 Johann Daem, Gördt zu Raedt.
1565 Gerhard Faßbender (Drölzholz).
1595, 1611 Dederich von Buren.
1660 Gördt Weitz.
1662 Heinrich Tappen, Heinrich Koch.
Bis 1674 Peter Meurers.
1700 (f 25. Oktober) Bartholomäus Buschen.
1778 (f 20. Januar) Michael Drath.
1780 Heinrich Rath.
1807-1818 Johann Bonn.
1828 Johann Wolf.
1832-1857 Philipp Becker. Er feierte bei seinem Abschied
sein silbernes Jubiläum, wobei ihn die Bruderschaft u. a. mit
einem Fackelzug ehrte.
1857- (f) 1865 Ackerer Wilhelm Josef Gruben.
1865-1896 Ackerer Michael Baumeister.
1896-1910 Franz Anton Esser.
Seit 1910 Sattlermeister Josef Mostert.
Mitglieder der Bruderschaft konnten seit 1650 nur werden und
bleiben die Angehörigen der Pfarre Qlehn, die einen guten Ruf
besaßen. Auf ehrenvollen Namen wurde der größte Wert gelegt.
Die Aufnahme konnte schon im Kindesalter erfolgen, der Genuß
der Rechte trat aber erst ein, wenn jemand seine Bruderpflichten
erfüllen konnte. 1855 wurde das Eintrittsalter auf 18 Jahre fest-
gesetzt. Wen der Brudermeister aufnehmen wollte, den stellte
er auf St. Sebastianustag oder unter der Rute dem Präses und
den vier Beisitzern vor. Seit 1719 mußte der Eintretende 60 A.
zum Schild und Kleinod und l Ro. an die Brüder zahlen. Jeder
Bruder mußte beim Gottesdienst auf St. Sebastianus und unter
der Rute zugegen sein. Wer fehlte, zahlte l P. Wachs als Strafe,
das zu Ehren des Schutzheiligen verbrannt wurde. Bei der
Gottestracht war jeder zu persönlicher Teilnahme verpflichtet,
und niemand durfte sich durch kleine Jungen vertreten lassen.
Das Recht der Brüder bestand in der Teilnahme am Vogel-
schuß, im Genuß des Frei- oder Bruderbieres, dann in einem
ehrenvollen Begräbnis. Alle begleiteten mit der Fahne den ver-
storbenen Mitbruder zum Grabe. Beim Traueramte gingen sie
um den Hochaltar und opferten. Dafür zog der Priester mit
dem Kreuz auf das Grab und betete das Miserere und De pro-
fundis. Um 1700 wurde beschlossen, zu allen vier Jahreszeiten
eine Sing- und Lesemesse für die Verstorbenen halten zu lassen,
wozu jeder jährlich 8 Pf. beisteuerte. Wer von diesem Beitrag
frei sein wollte, zahlte doppeltes Eintrittsgeld oder stiftete seit
1800 ein silbernes Schild und hieß Freibruder. Seit 1857 ließ
die Bruderschaft für die ärmeren Brüder ein Amt halten.
im Jahre 1856 regte der damalige Präses, Vikar Schiefgen,
die Einrichtung einer Krankenlade an. Wegen der schweren Zeit
sollte die Kasse aber nur durch freiwillige Beiträge gespeist
werden. Man wollte ferner von den neu Eintretenden 10 Sgr.
erheben, außerdem die 12 Ta. für Freibier der Kasse zuführen;
doch ging letzteres nicht durch. Weiter sollte auf Sebastianustag,
dann noch zweimal im Jahre, im Frühjahr und Herbst, eine
Sammlung bei den Brüdern stattfinden. 1857 brachte die
Kollekte auf Sebastianus 8 Ta. 13 Sgr. 6 Pf., im Mai 13 Ta.
4 Sgr. 4 Pf., im Oktober 12 Ta. 5 Sgr. l Pf. Am 20. Januar 1857
wurde die Krankenkasse feierlich errichtet. Der damalige
Schützenkönig Müller aus Steinhausen schenkte hierbei 9 Ta.
27 Sgr. 8 Pf. Bis 1858 waren 208 Ta. zusammen. Die Einnahmen
wuchsen ständig. 1861 vermachte Sebastian Schmitz aus Rubbel-
rath 100 Ta., deren Zinsen ebenfalls der Kasse zuflössen. 1858
wurden an Unterstützungen gezahlt 3 Ta. 4 Sgr. 8 Pf., 1859
9 Ta. 25 Sgr., 1863 an zehn Kranke 26 Ta. 10 Sgr. Die wohltätige
Einrichtung zog sogar das Interesse der Staatsbehörde auf sich.
Es bleibt jedenfalls ein Ruhmesblatt in der Geschichte der
Sebastianusbruderschaft, daß sie unter den ersten den Gedanken
der sozialen Fürsorge gepflegt hat, zu einer Zeit, wo sonst noch
wenig Verständnis für die Gemeinschaft herrschte.
Der ursprüngliche Zweck der Sebastianusbruderschaft, Übung
in den Waffen, fand seinen Höhepunkt in dem Vogelschuß. Da-
neben gab es noch Übungsschießen auf die Scheibe. Schon 1534
führt das Ausgabebuch l A. für eine „royd zu den voigel“ an.
In allen Jahrhunderten kehrt der Vogelschuß wieder, der Pfingst-
montag vor sich ging. Die Kriege verursachten immer nur eine
kurze Unterbrechung. Als im Dreißigjährigen Kriege 1642-1645
Glehn von den Hessen drangsaliert worden war, fand doch 1646
wieder der Vogelschuß statt. Nachdem 1794 die Franzosen das
Land besetzt hatten, nahm schon 1796 die Schützentätigkeit
wieder ihren alten Lauf bis 1813. Nur in der Blütezeit des
Polizeistaates (1825) und während der Besetzung 1919 ff. unter-
sagte man den Brüdern den Gebrauch der Waffen. Um 1500
schoß man in Glehn noch mit der Armbrust. Peter zu Pillern
(von Steinforth) zahlte 1503 für eine solche an die Bruderschaft
l G.. Wann die Feuerbüchse aufkam ist nicht festzustellen.
1698 wird zuerst erwähnt, daß die Brüder mit dem Gewehr
der Prozession beigewohnt haben. Es war der Bruderschaft
nicht immer leicht, sich eine Vogelstange zu verschaffen. 1780
bat sie durch ihren Deputierten Heinrich Rath die Reichsgräfin
von Salm-Dyck um einen Baum für eine Vogelstange, da sie
selbst dazu kein Geld habe. 1811 wurde eine neue Schießrute
im Dorfe Glehn am Flimmers errichtet. Weil sie aber hier den
Häusern zu nahe stand, bot 1836 der Eigentümer des Schanzer-
hofes, Wilhelm Hüsgen, der Bruderschaft an, die Rute auf sein
Eigentum, den „trenken“ Baumgarten am Spritzenhäuschen, zu
setzen. Den ersten Schuß gab der Präses ab, den zweiten der
Bruderkönig des letzten Jahres, den dritten der Brudermeister,
nach den vier Beisitzern kamen die Brüder an die Reihe. Jeder
mußte Schußgeld bezahlen. Wer den Vogel abschoß, wurde
Bruderkönig, wer den Kopf herunterholte, erhielt eine besondere
Prämie.
Bruderkönig zu werden, war stets die höchste Auszeichnung.
Ihn schmückte das Königssilber. Er erhielt eine besondere
Zuwendung, und zwar bis 1651 161/2 Rt., seit 1652 l Ml. Korn
aus dem Vikariefonds, ferner seit 1746 die Zinsen von 50 Ta.
aus der Stiftung Klaudt, von seiten der Zivilgemeinde Freiheit
von Hand- und Spanndiensten für ein Jahr, die aber auf die
Dienste für 24 und später für 9 Kölner M. und 1854 auf vier
Spann- und vier Handdienste beschränkt wurde. Seit 1865 trat
eine Geldspende an ihre Stelle, zunächst von 4 Ta., dann 27 Mk.
und seit 1910 von 15 Mk. In Liedberg war der Bruderkönig
für 9 Kölner M. dienstfrei; statt dessen erhielt er seit 1840 4 Ta.
preußisch und seit 1851 l Ta. preußisch aus der Kommunalkasse.
Diese Rechte waren auch übertragbar, seit 1843 durften sie aber
nur in die Hände des Brudermeisters zurückgegeben werden.
Der Bruderkönig bestimmte, ob ein öffentlicher Aufzug, ein
Schützenzug, stattfand. Es war gleichsam die Huldigung vor
der neuen Majestät, die Besitzergreifung seiner Gewalt. Ehemals
verband sich damit ein Festmahl der Brüder, Konreid genannt.
Schon 1521 heißt es in den Akten: „als der koenyck sy konreyt
hielt“. Der Königsaufzug fiel auf den Sonntag nach Fron-
leichnam. 14 Tage vorher war Beratung darüber. Ein Aus-
schuß von 13 Mitgliedern übernahm die Vorbereitung. Die
Teilnehmer am Zuge wählten sich selbst den sog. Chef, den
Major und den Hauptmann. Diese ernannten dann ihre Adjutan-
ten. Beim Aufzug der Schützen ritt der Chef mit seinem Ad-
jutanten voran, dann folgte die Musik, hierauf die Schützen,
zuletzt der Festausschuß mit dem König in der Mitte. Es war
früher einmal Sitte, Hauptmannsstab und Bruderschaftsfahne
an den Meistbietenden zu versteigern. Das so beliebte Fahnen-
schwenken, zu dem eine große Kunstfertigkeit gehörte, war nur
mit der alten Fahne gestattet. Seit vielen Jahren beschränkt
sich die Bruderschaft auf die Teilnahme an der Fronleichnams-
prozession, während eine besondere Schützengesellschaft, die
1911 ihr silbernes Jubiläum feierte, auf Kirmes „Zug macht“.
Auf ein prunkvolles öffentliches Auftreten legte die Bruder-
schaft immer großes Gewicht. Dazu gehörte vor allem eine
Fahne. Schon 1666 besaßen die Brüder eine „hervorragende
seidene Fahne mit kriegerischen Abzeichen“, die aber wohl
viel weiter zurückreicht. 1698 finden wir wiederum eine
Sebastianusfahne erwähnt. 1756 wurde eine Trauerfahne an-
geschafft. Jeder Bruder steuerte 3 Stb. bei. Freiherr von
Lohausen auf Fleckenhaus lieferte den schwarzen Seidendamast.
Graf Salm-Dyck spendete einen Dukat in Gold dazu. 1819 erhielt
die Bruderschaft eine neue Vereinsfahne, 1834 eine Kreuzfahne
und 1914 wiederum eine neue, herrliche Vereinsfahne, die von
den Schwestern am Kreitz angefertigt war.
Unter den Kleinodien war stets das Königssilber das kost-
barste. 1666 werden gelegentlich unter den Kostbarkeiten der
Kirche die silbernen Schmuckstücke des Bruderkönigs auf-
gezählt. Bei einem Einbruch in die Sakristei (16./17. Oktober
1699) ging alles verloren. Das Taufbuch zählt unter den ge-
stohlenen Schätzen auf „den silbernen Vogel mit unzählbaren
vielen und schönen Schildern der Sebastianusbrüder“. Mit Eifer
sammelte man seitdem ein neues Königssilber. Bis 1757 waren
45 Schilder im Gewichte von 2 P. 22 Lot geschenkt. Hiervon
sind 11 verlorengegangen. 1831 waren 42 Schilder vorhanden;
davon wurden vier zum Vorbeterstab verwandt. Manche „ver-
ehrten“ ein Schild bei ihrem Eintritt oder wenn sie Bruderkönig
wurden. Das älteste Schild trägt in lateinischen Buchstaben die
Aufschrift: „Ich Johannes Pullen gebe dees Scheit an den Neunen
Vogel zu Geleen 1699.“ Noch drei andere Schilder tragen den
Namen Pullen. Nur drei ganz einfache Schilder mit bloßem
Namen des Spenders sind vorhanden, die übrigen sind mit kunst-
sinnigen Verzierungen versehen. Besonders groß und schön ist
das Schild mit der Aufschrift: Ludwicus Joannes Wilhelmus
de Caicum et Lohausen 15. V. 1746 und dem Wappen des Stifters
auf der ändern Seite. Ebenfalls zeichnet sich aus das Schild des
Franz Arnold Freiherr von Frentz in Schlenderhan mit seinem
Namen und Wappen. Andere Schilder zeigen das Bild des
heiligen Sebastianus mit dem Namen des Gebers oder seines
Namenspatrons, wieder andere haben die Abzeichen ihres
Berufes darstellen lassen, so Johannes Scheulen 1792 Musik-
instrumente, Johannes Mösges 1706 Metzgergeräte, Wilhelm
Mösges 1728 Schreinerabzeichen. Bemerkenswert ist noch das
Schild mit der Aufschrift: Wilhelm Kames, König im zweiten
Jahr, daß die Franzosen dies Land im Besitz haben zu Qlehn
1796. Zu diesem Königssilber kam als weiteres Kleinod 1814
der Hauptmannsstab mit silberner Spitze und Kugel und 1856
der Vorbeter- oder Brudermeisterstab. Aus vier silbernen
Schildern und einigen Münzen, im ganzen 88/4 Lot Silber, wurden
die silbervergoldeten Figuren des heiligen Sebastianus und Pan-
kratius hergestellt und auf der Spitze des Stabes angebracht.
Das Silber der Sebastianusbruderschaft befand sich früher stets
im Gewahrsam der Kirche. In den Kriegswirren 1785-1792
wurde es verborgen. Seither ist es nicht mehr an die Kirche
zurückgekommen, sondern in der Hand des zeitigen Bruder-
meisters geblieben. Doch hat sich der Kirchenvorstand das
Recht vorbehalten, es jederzeit zurückzufordern und über den
Verbleib Rechenschaft zu verlangen. Das Übergabeprotokoll
vom S.Juni 1806 zählt auf den silbernen Vogel und 39 Schilder
mit einer silbernen Kette, insgesamt 3 P. weniger 2 Lot Silber,
1848 mußte das Silber noch einmal vor den Demokraten ge-
flüchtet werden.
Außer den schon erwähnten gesellschaftlichen Veranstaltungen
gab es noch Freibier am Abend des Sebastianustages. Dieses
Bruderbier oder Sebastianus“geloch“ wird schon 1489 er-
wähnt. Seit 1650 wurde in Qlehn und zwei verschiedenen Ort-
schaften außerhalb insgesamt für 6 Rt. Bier (= 3 Anker) verab-
reicht und aus der Kornrente bestritten. Vor dem Auseinander-
gehen gedachte man im Gebete der verstorbenen Brüder. Auch
beim Vogelschuß gab es einen „Zech“, den man aber 1899 ab-
schaffte.
Welche Bedeutung hat die Sebastianusbruderschaft gehabt?
Ihr gehörten ehemals sozusagen alle an vom Adeligen bis zum
Knechte, Beamte und Halfen, in Qlehn u. a. die Herren von
Schlickum, Lohausen, Schlendern. Der Vogt Budberg von Lied-
berg schenkte der Bruderschaft 1550 einen Garten an der Haag,
Matheis Driesch, Rentmeister auf Fürth, gab an den Sebastianus-
altar zwei kupferne Leuchter zur Ehre Gottes. Ober die Mit-
gliederzahl hören wir erst 1654 genaueres. In diesem Jahre
begleiteten 56 Brüder die Gottestracht. 1729 zählte man 150 Mit-
glieder, 1756: 200, 1857: 247, 1870: 200 (1865 waren die Lied-
berger ausgeschieden), 1914: 179. Ehemals beherrschten die
Bruderschaften geradezu das öffentliche Leben. Mit dem Kirch-
meister vertrat der Brudermeister die Gemeinde. In Büttgen.
Schiefbahn, Kaarst und Kleinenbroich hatte die Sebastianus-
bruderschaft 1687 als Vertreterin ihrer Gemeinde einen be-
sonderen Anteil am Büttgerwalde, nämlich das Recht, drei Pferde
weiden zu lassen. Beizeiten überstieg der Einfluß der Bruder-
schaften wie auch der Zünfte in den Städten die Grenze des
Erlaubten, so daß der Landesherr einschreiten mußte. Der Kur-
fürst von Köln bestimmte 1533: „Die alten Schützereien sollen
keine der Obrigkeit zuständige Einrichtungen und Ordnungen
machen.“
Der ursprüngliche Zweck der Sebastianusbruderschaften als
Wehrorganisation ist längst dahin, ihr Einfluß nicht mehr der
frühere, aber geblieben sind sie Stätten echten alten Volkstums
und sollten als solche gefördert und gepflegt werden.
Aus dem Buch „Liedberg“ 1930
von Dr. Jakob Bremer