Der große Zapfenstreich
Wer denkt hier nicht sogleich an das erhebende Ereignis unseres großen Schützenfestes, wenn zu seinem Ende abends der Große Zapfenstreich geboten wird? Wer denkt aber nicht auch an die militärische Herkunft dieses Zapfenstreichs und sperrt sich deshalb gegen ihn wie gegen alles Militärische? Mancher, der den letzten Krieg mitgemacht hat, und viele, die als junge Menschen gegen alles Militärische in kritischer Distanz stehen, mögen sowas nicht.
Ein klärendes Wort unseres Staatsoberhauptes, das von denen begrüßt worden ist, die sich ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung bewusst geblieben sind und für die der fast schon untergegangene Vaterlandsbegriff nichts Fremdes geworden ist.
Der große Zapfenstreich ist allerdings jünger als man gemeinhin annimmt. Während der Freiheitskriege nahm der Zapfenstreich in Preußen zeremonielle Bedeutung an. Nach der Schlacht von Groß-Görschen (2. Mai 1813), in der Napoleon die vereinigte preußisch-russische Armee schlug, ritt König Friedrich Wilhelm III. mit dem Zaren Alexander I. über das Schlachtfeld. Am Flügel der Armee, wo das russische Heer stand, erklang gerade der russische Zapfenstreich. Anschließend sangen die Soldaten, wie es im russischen Heer üblich war, den Choral „Ich bete an die Macht der Liebe“ des russischen Kirchenkomponisten Bortnjanski.
Der fromme preußische König war davon so tief beeindruckt, vor allem, weil der Zapfenstreich mit einem Gebet schloß, dass er später eine Kabinettsordre erließ, nach der dem Zapfenstreich ein Gebet angefügt werden musste. Dieser Abschluss sollte den einzelnen zur Besinnung auf sich selbst führen. Aus dieser frommen Neuordnung des Soldatenlebens entwickelte sich der Große Zapfenstreich. Diese Form – Locken, Zapfenstreich, Gebet – ist unverändert in den heutigen Zapfenstreich übernommen worden.
Man kann sich heute getrost an der musikalischen Schönheit einer Militärmusik, wie dem Großen Zapfenstreich oder Märschen, erfreuen; denn es sollte immer bedacht werden, dass sich auch die Großen der Musik wie Beethoven und Schubert der musikalischen Form des Marsches bedient haben. Rousseau schrieb 1786 in seinem Musiklexikon:
„Es gibt wunderbare Märsche bei den deutschen Truppen“.
Sehr wenig weiß man vom Großen Zapfenstreich, der eine besondere Stellung innerhalb der Militärmusik einnimmt.
Im Großen Zapfenstreich ist nichts vom heißen Atem des Krieges zu spüren, er stellt vielmehr eine feierliche Abendmusik mit einer Spielfolge von Trommel- und Pfeifenstücken, Reitersignalen und dem Gebet dar. Freilich enthält er
als tragende Klangkörper Trommeln und Pfeifen, also das „spil“ der Landsknechte und die Trompeten und Pauken aus der Zeit der Reiterheere. Die Bezeichnung „Großer Zapfenstreich“ geht auf den „Zapfenschlag“ zurück, der in
der Landknechtszeit, also spätestens im 30 jährigen Krieg entstand.
Die Landsknechte verbrachten ihre Abende in den Schenken oder in den Marketenderzelten. Zu einer festgesetzten Stunde musste jedoch die Ordnung des Lagers für die Nacht hergestellt werden. Deshalb ging der Wachoffizier oder Profos, begleitet von einem „spil“, also den Spielleuten, 2 bis 4 Pfeifern und Trommlern, durch die Schenken usw.
und schlug mit seinem Stock auf den Zapfen des Weinfasses. Nach dieser Amtshandlung durfte der Wirt nichts mehr einschenken. Die Landsknechte mussten die Schenken verlassen. Wer sich diesem musikalischen Befehl, der von den Landsknechten „Zapfenschlag“ genannt wurde, widersetzte, wurde hart bestraft.
Der Große Kurfürst dehnte diesen Brauch am 12. August 1662 – also vor mehr als 300 Jahren – auch auf seine Bürger aus. Auch sie mussten beim militärischen Zapfenstreich den Alkoholverbrauch einstellen. Später wurde aus dem Trommel- ein Trompetensignal.
Die Signale, im besonderen die Zapfenstreichsignale, waren bei allen Truppenteilen und Regimentern verschieden. Eine Vereinheitlichung erfolgte erst später.
Berühmte Musiker schufen die heutige Form Der Große Zapfenstreich in seiner heutigen Form geht auf den Direktor sämtlicher Musikkorps des preußischen Gardekorps Wilhelm Wieprecht zurück, der den harmonischen Zapfenstreich der berittenen Truppe gestaltete und in den Großen Zapfenstreich einarbeitete. Das Locken, von den Trommlern und Pfeifern ausgeführt, diente dabei dem Rufen zur Versammlung der Truppe um das Musikkorps, dem die Fackelträger den Marschweg und anschliessend die Notenblätter beleuchteten. Im großen Rahmen wurde der Große Zapfenstreich in Wieprechts Fassung erstmalig im Jahre 1838 in Berlin aufgeführt. Als Zar Nikolaus I. den König von Preußen in der Landeshauptstadt besuchte, vereinte zu Ehren des Gastes der Direktor sämtlicher Musikkorps des Gardekorps insgesamt 1197 Musiker (16 Kavallerie- und 16 Infanteriekorps sowie 20 Tambours) der Garde auf dem von Fackeln beleuchteten Berliner Schlossplatz zum Großen Zapfenstreich.
Der von 1890 bis 1908 amtierende Armee-Musikinspizient Prof. Gustav Roßberg überarbeitete den Großen Zapfenstreich noch einmal. Die Endgestaltung der heutigen klaren Form wurde durch den früheren 2. Armee-Musikinspizienten Prof. Oskar Hackenberger, der von 1924 bis 1930 die Militärmusik in der Reichswehr nach Prof. Grawert leitete, durchgeführt.
In der heutigen Form enthält die Spielfolge des Großen Zapfenstreichs nacheinander das Locken zum Zapfenstreich, den langen Wirbel mit 8 Schlägen und den Zapfenstreich-Marsch, die Retraite (harmonischer Zapfenstreich der ehemaligen berittenen Truppen, l., 2. und 3. Post), das Zeichen zum Gebet, das Gebet, das Abschlagen nach dem Gebet
und den Ruf nach dem Gebet.
Die oft vertretene Ansicht, die Herkunft des Großen Zapfenstreichs sei in Russland zu suchen, ist also nicht richtig.
Lediglich die feierliche Form, nach dem immer üblichen Zapfenstreichmarsch im Feldlager geschlossen anzutreten und nunmehr gemeinsam einen Choral zu singen, ist von den Russen übernommen worden.
Der (Große) Zapfenstreich
Die Briten nennen ihn „tatoo“, die Franzosen „Retraite“ und für die Deutschen ist es der „Zapfenstreich“. In seiner ursprünglichen Bedeutung war der Zapfenstreich das Abendsignal, das die Soldaten auffordert, die Nachtruhe zu beginnen. Der Ursprung des Wortes führt in das Lagerleben des Mittelalters zurück. Die Marketender, die Händler bei der Feldgruppe, mussten jeden Abend bei einem bestimmten Trommelzeichen den Zapfen oder den Spund des Schankfasses streichen, d. h. hineinschlagen, um das Fass zu verschließen. Das war das unmissverständliche Signal, das Feuer zu löschen und sich auf den Weg in die Zelte zu machen. Die Nachtruhe begann, es durfte nichts mehr „verzapft“ werden. Nach einer Verordnung von 1662 galt diese Bestimmung auch für Bürger. Sie durften ebenfalls nach dem Trommelschlag kein Bier mehr ausschenken.
Der Ursprung des „Zapfenstreichs“ liegt in der Zeit des 30-jährigen Krieges (1618-1648). In den Lagergassen wurde zur Sperrstunde durch den Profos – seines Zeichens Quartiermeister und Strafgewaltiger bei den Landsknechthaufen – mit einem Stab über die Zapfhähne der Weinfässer gestrichen. Danach war es den Marketendern verboten, den Hahn an diesem Abend noch einmal aufzudrehen. Die Landsknechte mussten sich nun umgehend in ihre Quartiere begeben. Noch heute ist der Ausdruck „Zapfenstreich“ im militärischen Bereich als Gebot der Heimkehr ins Quartier ein Begriff.
Im Laufe der Zeit wurde es üblich, das Zeichen zur Nachtruhe auch in musikalischer Form zu geben. Der eigentliche „Zapfenstreich“ wurde durch das „Locken zum Zapfenstreich“ eine Viertelstunde vorher angekündigt. Bei der Kavallerie geschah dies durch Trompetensignale (die „Retraite“), bei der Infanterie durch besondere Spielstücke für Flöte und Trommel.
Das heute übliche Zeremoniell des (Großen) Zapfenstreichs geht auf die Befreiungskriege (1813 – 1815) zurück. Aus dieser Zeit stammt der Brauch, dem Zapfenstreich ein kurzes Abendlied folgen zu lassen. König Friedrich Wilhelm III befahl unter dem Eindruck eines Brauches in der Russischen Armee im August 1813 auch bei seinen Truppen nach dem Zapfenstreich ein Gebet. Auf dieser Grundlinie (Locken – Zapfenstreich – Gebet) stellte Friedrich Wilhelm Wieprecht (1802 – 1872), der legendäre Wegbereiter deutscher Blas- und Militärmusik, die noch heute gültige Form des (Großen) Zapfenstreiches zusammen. Er erklang auf diese Weise mit 1200 Mitwirkenden erstmalig am 12. Mai 1838 in Berlin als Abschluss eines Großkonzertes zu Ehren des russischen Zaren. Die damals erklungene Spielfolge umriss bereits ein Konzept, das bis zum Jahre 1918 zwar vielerorts variiert wurde, sich aber wie ein roter Faden bis zum heute verbindlichen Ablauf durchzieht.
Der (Große) Zapfenstreich wird immer von einem Spielmannszug und einem Musikkorps gemeinsam ausgeführt. Diese marschieren grundsätzlich unter den Klängen des „Yorckschen Marsches“ auf. Nach dem Einnehmen und Ausrichten der Formation erfolgt die Meldung. Musikalisch beginnt der (Große) Zapfenstreich mit dem „Locken zum Zapfenstreich“ (Spielmannszug). Es folgt der „Zapfenstreichmarsch“ (Spielmannszug und Musikkorps), die „3 Posten des traditionellen Zapfenstreiches der berittenen Truppe“ – die „Retraite“ – (Musikkorps), das „Zeichen zum Gebet“ (Spielmannszug), das „Gebet“ (Spielmannszug und Musikkorps), schließlich das „Abschlagen nach dem Gebet“ (Spielmannszug) und der „Ruf nach dem Gebet“ (Musikkorps). Seit 1922 endet der (Große) Zapfenstreich mit der Nationalhymne. Nach der Nationalhymne erfolgt dann die Abmeldung des (Großen) Zapfenstreiches und der Abmarsch in der Regel unter den Klängen des „Zapfenstreichmarsches“.
Von den Schützenfesten im Rheinland ist der (Große) Zapfenstreich nicht mehr wegzudenken. Beim Schützenfest in Holzbüttgen wird er sogar zweimal zelebriert, das erste Mal zur Eröffnung nach der Festmesse am Samstagabend auf dem Kirchplatz. Darüber hinaus wird mit dem (Großen) Zapfenstreich die Krönung des Schützenkönigs am Montagabend im Festzelt eingeleitet. Der (Große) Zapfenstreich trägt wesentlich mit dazu bei, dass der Krönungsabend immer eine ganz besondere Atmosphäre bekommt. Beiden Anlässen ist – im Gegensatz zur ursprünglichen Bedeutung des Zapfenstreiches – zu eigen, dass der Abend und die Feierlichkeiten mit dem Zapfenstreich nicht enden, sondern gerade erst anfangen.